Mareike: Herr Trettin, ich freue mich über die Einladung, dass wir hier heute bei Ihnen sein dürfen. Erzählen Sie kurz über Ihr Projekt. Was haben Sie sich hier mit “Project Bay” vorgenommen?
Hannes: Also erstmal vielen Dank. Project Bay ist auf dem Papier ein Coworking-Living Space (neumodisches Wort an der Stelle). Es ist eigentlich nur ein Verband von verschiedensten Firmen, die sich an einem Ort treffen, um zusammen zu arbeiten. Man hat hier u.a. flexible Schreibtische. Die Idee ist, dass wir der Region Vorpommern-Rügen günstige Arbeitsplätze für innovative Leute anbieten, aber auch Firmen herholen möchten, die das Netzwerk möchten. Das Konzept dahinter ist es, eine Community aufzubauen, die zum einen regional existiert. Wir haben unglaublich viele Querdenker und Unternehmen hier, die an Ideen arbeiten. Dabei fehlt es an Vernetzung, zumindest so wie wir sie uns vorstellen. Gleichzeitig haben wir durch Co-Living das Format, dass wir Leute aus anderen Regionen nach Mecklenburg-Vorpommern holen, die sich mit den regionalen Menschen vernetzen wollen. Wir haben da ein Beispiel von einem Apple Vertreter aus Berlin. Er wollte einmal wissen, was in der IT-Technik auf Rügen passiert. Er hat sich mit Leuten hier zusammengesetzt und darüber ausgetauscht. So entstehen Kooperationen, die so nicht möglich gewesen wären. Die Menschen auf Rügen sind etwas eigen, wir sind nun einmal Insulaner, und ich gehöre dazu. Dabei ist es oftmals so, wir schauen weniger nach außen und aus diesem Grund bringen wir die Menschen jetzt hier her. Viele Start-Ups haben angemerkt, dass immer noch der Drang besteht, nach Berlin oder Hamburg zu fahren, um sich mit anderen zu vernetzen. Und das, obwohl wir hier Natur pur haben. Genau das, was Unternehmen haben wollen - eine Work-Life-Balance mit allem drum und dran. Jetzt drehen wir den Spieß um und holen die Leute hier her und vernetzen sie so.
Mareike: Bei Ihnen ist jetzt der Breitbandanschluss gelegt. Das ist, wenn ich es richtig verstanden habe, Ihr Alleinstellungsmerkmal um zu sagen “Kommt hier her. Ihr könnt der Work-Life-Balance gerecht werden”. Welche Chancen implizieren Sie mit dem Breitbandanschluss hier? Welche Möglichkeiten ergeben sich hier für Ihr Projekt und die Unternehmen nach Ihrer Einschätzung neu?
Hannes: Es war die Grundlage, dass wir überhaupt hier an den Standort gekommen sind, denn ohne hätten wir die Möglichkeit nicht anbieten können. Ohne Internet kann man das heutzutage gar nicht mehr anbieten. Es ist eine extrem große Chance, die wir hier auf Rügen gerade erzeugen. Wir sind jetzt ein Hotspot. Die Digitalisierung sorgt ja dafür, dass die Leute mit New Work, was wir hier auch anbieten, von überall aus arbeiten können. Sie benötigen nur Internet. Deshalb ist der Faktor Natur pur gemeinsam mit Digitalisierung und Breitbandanschluss eigentlich das beste, was uns in Mecklenburg-Vorpommern passieren konnte. Die Menschen kommen jetzt von überall und können von hier aus arbeiten. Jetzt kommt die Innovation zu uns. Nicht so, wie es jahrelang war, dass die Leute weggezogen sind. Wir können sie jetzt zu uns holen, deshalb stellt der Breitbandanschluss für uns die Existenz pur dar, dass wir solch eine Möglichkeit überhaupt anbieten können.
Mareike: Sie haben eben beiläufig erwähnt - New Work ist heutzutage in. Was versteht man darunter?
Hannes: Unser Konzept ist ja New Work, da wir mobile und flexible Arbeitsplätze anbieten. Man kann hier einfach herkommen und sich einen Schreibtisch nehmen. Auch Unternehmen können dieses Angebot nutzen. Das Thema New Work ist bei uns extrem wichtig, weil die Leute weggehen von dem normalen Arbeitsmodell mit 8 Stunden arbeiten oder 40 Stunden Wochen. Auch der Gedanke, ich muss ins Büro gehen und mein Chef muss mich sehen, rücken in den Hintergrund. Ich war jahrelang selbst Führungskraft. Mittlerweile geht es eher in die Richtung, Projekte müssen abgeschlossen sein, egal wie lange sie arbeiten. Mir war es grundsätzlich immer egal, wo meine Mitarbeiter waren, da ich selbst selten im Büro sein wollte. New Work bedeutet gewissermaßen Flexibilität durch Work-Life-Balance. Ich kann da arbeiten, wo es mir gut tut und meine Arbeitszeiten so einteilen, wie ich es möchte. Genau das müssen wir in Mecklenburg-Vorpommern jetzt extrem nutzen. Das ist unsere Chance. Die Menschen wollen in die Natur, gerade durch Corona bedingt umso mehr. Man merkt, in Großstädten ist man eingesperrt. Die Leute wollen gerade einfach raus. Wir haben jetzt New Work Möglichkeiten mit Internet, dass die Menschen eben nicht im Büro arbeiten müssen und können das jetzt für uns nutzen.
Mareike: Herr Trettin wenn ich zuhöre, dann klingt das nach einer sehr aufregenden Idee, das steckt bestimmt ganz viel Kraft und Prozess dahinter. Wenn Sie zurückblicken, das Projekt hat bestimmt nicht von einem Tag auf den nächsten seine Verankerung hier gefunden. Nennen Sie die aus Ihrer Sicht drei wichtigsten Meilensteine, wenn Sie so zurückblicken. Was war besonders wichtig? Woran können Sie sich erinnern? Was waren die drei Sachen, die Sie maßgeblich im Projekt geprägt haben?
Hannes: Also ich glaube der wichtigste Meilenstein für uns beiden als Gründer war, dass wir uns dazu entschieden haben, etwas Eigenes aufzubauen. Sonst würde es uns hier gar nicht geben. Wir haben eigentlich nur ein Büro auf der Insel gesucht, weil wir wieder mehr in die Natur wollten. Das war der allerwichtigste Meilenstein, der ist vor ca. anderthalb Jahren gesetzt worden. Der zweite Meilenstein war eigentlich, dass wir die richtigen Leute hier in der Region kennengelernt haben. Wir haben gemerkt, dass die Menschen hilfsbereiter sind, wenn sie merken, dass man von hier kommt. So haben wir den Immobilienbesitzer kennengelernt, der uns einfach gesagt hat: “Hey, ich habe hier eine Immobilie mit Breitbandanschluss. Genau das, was ihr sucht”. Der dritte Meilenstein war für uns der Moment, als wir das Go bekommen haben, zu starten. Und dann haben wir es gemacht. Unser Konzept, so wie wir jetzt hier sitzen, ist in der Tat innerhalb von vier Monaten entstanden (von der Idee bis hin zur Eröffnung). Es gab noch ein paar rechtliche Probleme, die man natürlich immer hat. Sonst wären wir nach vier Monaten schon am Start gewesen.
Mareike: Sie sprechen hier über Cowork/ New Work und das klingt nicht nur so: “Ich buche einen mobilen Arbeitsplatz”. Das klingt nach einem Kulturwandel, nicht nur für die Insel, sondern auch für Mecklenburg-Vorpommern, mit dem Ziel, Impulse neu zu denken. Welche Chancen sehen Sie für das Land,in dem Sie hier wirken und neue Impulse setzen auf der Insel?
Mareike: Ich glaube, es ist jetzt unsere Zeit hier in Mecklenburg-Vorpommern. Die Zeiten sind vorbei, dass man in Ballungszentren muss, wo die Infrastruktur vorhanden ist. Durch das Thema Breitbandanschluss/ Glasfaser und die Möglichkeit, dass wir überall Internet haben können, verlagert sich das Ganze. Das ist für ein Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern die Chance, der Digitalisierungs-Hotspot zu werden. Wir haben eine gute Position, um uns im baltischen Raum zu positionieren und interessante Kooperationen mit Norwegen, Schweden, Polen oder weiteren Ländern einzugehen. Wir müssen die Chance jetzt nutzen und massiv in die Digitalisierung hineingehen, was wir bisher schon super machen. Nun müssen wir mehr dabei unterstützen, Unternehmen in unser Bundesland zu holen. Ihnen noch mehr zeigen, wie schön es hier ist. Wir müssen den Unternehmen zeigen, dass sie alles, was sie in Großstädten wie Berlin oder Hamburg auch hier in Verbindung mit Natur haben können. Ich weiß natürlich auch, dass es Menschen gibt, die gern in der Großstadt leben. Aber es gibt genauso viele, die nur des Jobs wegen dort wohnen. Das sind genau die Stärken, die wir jetzt haben. Mecklenburg-Vorpommern hat unglaublich viel. Wir verbinden das jetzt mit der digitalen Welt. Da sind wir, glaube ich, auf dem richtigen Weg. Für Vorpommern-Rügen ist es jetzt die Chance, von dem reinen Tourismus und der Gastronomie wegzugehen und Jobs in der digitalen Welt zu schaffen. Ob Entwicklung, die Eröffnung von Softwarefirmen oder ein Travel-Tech Hotspot für die Digitalisierung des Tourismus - das sind alles Perspektiven, wo wir für Rückkehrer, aber auch generell Menschen aus ganz Deutschland attraktiv werden. Alle Gäste, die wir hier haben, fragen beim zweiten Besuch gleich nach der Möglichkeit, eine Immobilie zu erwerben, weil es auf der Insel einfach schön ist. Wir haben hier Internet und können hier leben - man kommt einfach besser runter. Man kennt es ja selbst, wenn man im stressigen Alltag ist und beispielsweise in Berlin oder Stuttgart nach Hause fährt und noch im Stau steht. Es ist etwas ganz anderes, wenn man hier das Büro verlässt und eine Runde schwimmen geht. Das ist auch das, wo die Leute viel glücklicher wirken.
Mareike: Das klingt nach ganz viel Energie, die man hier tanken kann. Ganz viel positive, effiziente Arbeitsprozesse, die man sicherlich auch als Unternehmen hier sehr gut nutzen kann. Herausforderungen müssen sicherlich auch in dem Kontext angesprochen werden. Nicht alles ist schon perfekt, nicht alles liegt vor der Tür. Sie schütteln den Kopf, das kann man auch fühlen. Welche Herausforderungen würden Sie gerne hier ansprechen wollen, die jetzt noch vor Ihnen liegen?
Hannes: Wir haben mehrere Themen, an denen wir arbeiten müssen, was wir aber auch machen. Wir bekommen sehr viel Unterstützung vom Land, das ist uns auch sehr wichtig gewesen als Gründer in der Region. Aber da muss noch mehr passieren. Wir müssen als Bundesland noch mehr zeigen, dass wir jeden auf dem Weg unterstützen, egal ob finanziell oder in Form von Beratungsleistung. Viele haben eine gute Idee und würden gern in die Natur, aber brauchen bei den bürokratischen Themen Hilfe. Es gibt hier in Mecklenburg-Vorpommern unglaublich viele Fördermöglichkeiten, die aber nicht immer für jeden auf den ersten Blick ersichtlich sind. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, ein gutes Netzwerk zu haben. Und genau da können wir auch helfen, in dem wir ein Netzwerk aufbauen, wo jemand dabei ist, der einem hilft. Ein weiteres Thema ist Mobilität. Wir haben das Glück, dass wir in Lietzow an das Bahnnetz angeschlossen sind. So müssen Gäste aus Berlin, Hamburg oder Stuttgart nur einmal umsteigen. Diese Variante wird auch von 60-70% genutzt. Wir liefern jetzt durch ein eigenes Carsharing System und eigene Fahrräder die Möglichkeit, dass die Leute hier kein Auto brauchen. Dennoch muss an der Mobilität noch etwas gearbeitet werden. Wir merken, dass Gäste aus Großstädten, sich direkt ein Auto kaufen möchte, wenn sie auf die Insel kommen. Die Welt geht immer mehr in Richtung Nachhaltigkeit. Dabei müssen wir schauen, dass in einem Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern andere Mobilitätslösungen aufgebaut werden, die es ermöglichen, auf dem Land auch ohne Auto zu überleben. Es gibt hier bereits tolle Sachen, wie z.B. die “Mitnehmerbank”. Da kann man sich hinsetzen und wird dann mitgenommen, aber auch damit muss man noch mehr Werbung machen. Ich selbst nutze es und nehme regelmäßig Leute mit, habe aber mit 30 Jahren zum ersten Mal in meinem Leben ein E-Auto. Ich biete mein Auto zum Carsharing an. Ich glaube, diesen Aspekt müssen viele Menschen noch lernen. Man kann sich Autos teilen, auch ein Dorf kann sich ein Auto teilen. Da müssen wir noch mehr ran, dass mehr solcher Konzepte vorhanden sind. Mein Vater, der normalerweise typisch Deutsch ist, hat zwei Autos und würde sie ungern verleihen. Er sagt jetzt aber auch: “Super, ihr habt ein E-Auto? Das leihe ich mir mal bei euch und dann brauche ich eigentlich kein eigenes mehr”. Da können wir noch unglaublich viel machen, um nicht nur in Richtung Digitalisierung zu gehen, sondern auch nachhaltige E-Mobilitätslösungen anzubieten.
Mareike: Es wird ein neuer Impuls gesetzt zum Thema Kulturwandel und auch im Mobilitätsbereich wird das eine Rolle spielen. Hier geht es nicht nur darum, wenn ich Sie richtig verstehe, das Auto bereitzustellen, sondern auch darum bereit zu sein, sein Auto zu vermieten, jemanden mitzunehmen. Das hat auch ganz viel mit einer anderen Offenheit zu tun. Mit Vertrauen, das man schenken muss/ kann. Kennt man sich, dann läuft alles viel einfacher. Ihre Punkte waren Vernetzung, Sichtbarkeit schaffen, Mobilität neu denken und gut beraten. Genau das ist, was Gründern und Start-Ups hilft, sich in Team innovativ aufzustellen und sich dahingehend zu entwickeln. Haben Sie noch andere Ideen, die Sie gern mit anregen möchten?
Hannes: Was wirklich wichtig ist, das müssen wir uns von anderen Bundesländern noch abschauen, ist die finanzielle Unterstützung. Es gibt sehr viele Bundesländer, die da sehr stark reingehen, interessante Fördertöpfe haben. Berlin oder Brandenburg bieten für innovative Idee bei Eigenkapital noch einmal diese Summe als Gegenstück an. Es ist nicht so, dass das Geld geschenkt ist, es muss ein längerer Prozess durchlaufen werden. Man sollte natürlich kein Geld in sinnlose Ideen verschenken, aber müssen wir nochmal schauen, was wir da machen können. Jeder Mensch benötigt eine gewisse Sicherheit. Besonders, wenn innovative Ideen umgesetzt werden sollen, ist es ein längerer Prozess. Grund hierfür ist ein stattfindender Kulturwechsel (Transformation). Dafür braucht man einen langen Atem und diese Grundlage muss man schaffen, damit Leute nicht sofort aufgeben. Ich glaube, dass die restlichen Punkte erstmal das wichtigste sind, um zu starten. Der Rest entwickelt sich dann in die Richtung. Ansonsten ist das Thema Bildung unglaublich wichtig, wir arbeiten da bereits an verschiedensten Konzepten. Wir müssen meines Erachtens nach noch früher an die Jugendlichen ran und gehen deshalb von Schule zu Schule, um ihnen frühzeitig die Welt zu zeigen. Unser Ziel ist es zu vermitteln, dass Digitalisierung überall stattfindet. Im besten Fall gehen die jungen Erwachsenen aus der Schule mit dem Gedanken, etwas eigenes zu gründen und studieren im Anschluss oder absolvieren eine Ausbildung, um das letztendlich umzusetzen. Da können wir glaub ich noch viel mehr machen.
Mareike: Wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Trettin, sagen Sie, die Start-Ups können von überall herkommen. Es muss nicht unbedingt jemand sein, der aus dem Hochschulbereich kommt, sondern es wäre auch Ihre Hypothese, dass jemand gleich aus der Schule kommt. Es besteht auch die Möglichkeit, dass man sich aus einem Unternehmen heraus selbständig machen möchte. Wie sind da Ihre Erfahrungen? Wer ist Gründer*in? Wo kommen typische Gründer her?
Hannes: Das ist ein guter Punkt! Ich selbst habe zwar einen akademischen Abschluss gemacht, aber meine erste Firma habe ich mit zwei Leuten gegründet, die eine Ausbildung sehr gut abgeschlossen haben. Das Ausbildungssystem in Deutschland ist einzigartig. Als ich in Amerika war, haben uns die Leute um dieses Ausbildungssystem beneidet. Gleichzeitig ist es aber auch eine Blockade. Viele Innovations- und Start-Up Programme sind auf Akademiker ausgelegt. Da muss man ran! Wir selbst wurden bei EXIST abgelehnt, da wir nur einen Akademiker im Team hatten. Da ist eben die Frage, wenn man sich die Gründer in der Vergangenheit anschaut, dann ist der Akademikergrad sehr hoch. Viele Menschen brauchen nach der Schule erst einmal Zeit, um sich selbst zu finden und Ideen auszuarbeiten. Dafür ist ein Studium sensationell. Gleichzeitig sieht man auch, dass viele innovative Gründungen beispielsweise von Studienabbrechern stammen. Diese werden aber ausgeschlossen. Ich glaube, damit tun wir uns keinen Gefallen. Auch ein Handwerker, der eine sehr gute Ausbildung absolviert hat, kann eine spannende Idee haben, wird aber durch die Nichtbeachtung abgeschreckt. Das ist total schade, weil sie dadurch ein bisschen in eine andere Klasse verweist und das soll auf keine Fall so sein. Schließlich wollen wir gute Ideen haben und wir müssen es jetzt machen. Es gibt viele Bereiche, wo wir unterstützen müssen und deshalb muss es viel mehr Programme in diese Richtung geben.
Mareike: Sie reden von vielen coolen Ideen. Welche Idee von der Sie gehört haben, wie Gründer sich auf den Weg machen, fanden Sie am verrücktesten?
Hannes: Die verrücktesten Ideen, ich weiß gar nicht, ob das jetzt FSK 18 okay ist, aber das war eine sehr erfolgreiche Idee. Es ging darum, dass man das Thema Prostitution anders angeht. Es sollten Sicherheiten geschaffen werden, indem man das Business digitalisiert. Hintergedanke ist, dass die Männer und Frauen nicht mehr auf der Straße stehen, sondern es stattdessen auf dem Telefon eine Art Buchungssystem gibt. Das ist mittlerweile sechs oder sieben Jahre her, aber es ist international total eingeschlagen. Menschen haben gesehen, da ist ein Sicherheitsfaktor. Immerhin ist es eines der ältestens Businesses, die auf der Welt existieren. Die Unsicherheit wurde durch Digitalisierung gelöst. Das war stark. Es ist immer noch ein Tabuthema und kam von einer Frau, die das Ganze auf der Straße gesehen hat. Sie hat mich angesprochen und gefragt, warum wir das nicht digital machen, es muss doch Sicherheiten geben. Sie hat es sensationell gemacht, die Idee ist durch die Decke gegangen und es sind große Investoren eingestiegen, weil alle das Problem gesehen haben. Natürlich hat die Umsetzung der Idee viel Mut gekostet, schließlich kam sie vor fünf/ sechs Jahren mit einer digitalen Lösung für ein Tabuthema um die Ecke. Das war schon heftig. Ich muss ganz ehrlich sagen, da hatte ich Respekt. Heutzutage kann man alles digital lösen, wobei man sich bei manchen Sachen fragt, warum hat man das nicht schon viel früher gemacht?
Mareike: Digitalisierung verbindet, erzeugt eine neue Offenheit aus der Motivation heraus, Dinge transparenter, sicherer, vielleicht gerechter zu gestalten. Digitalisierung kann ganz viel Chancen hervorrufen. Unsere Vision ist es, ein digitales MV zu erzeugen. Ziel ist es, Dinge digitaler zu machen, um die knappen Ressourcen in unserem Land ein Stück weit effizienter einzusetzen. Dabei möchten wir uns viele tolle Lösungen überlegen, idealerweise selbst gemacht. Es ist ein langer Prozess, aber wir sehen ganz viele tolle Akteure, die sich hier einbringen und an dem Prozess gemeinsam mitwirken. Wenn Sie auf das digitale MV schauen, welche Idee haben Sie? Wo kann es sich hinentwickeln? Welchen Wunsch haben Sie? Oder gibt es eine konkrete Idee, wo Sie sagen, es liegt auf der Hand, warum gibt es dafür noch keine digitale Lösung?
Hannes: Wenn ich mein Wunsch äußern könnte, dann wäre es, dass wir in ein paar Jahren die Situation haben, dass Menschen aufgrund der Digitalisierung nach MV ziehen. Und im Zuge dessen Hotspots errichtet wurden, an denen Menschen ihre Ideen ausleben und kreativer werden können. Was mir dabei aber sehr wichtig wäre ist, dass alle Leute abgeholt werden. Bei der Digitalisierung ist es oft der Fall, dass sich viele Menschen abgehängt fühlen. Nicht alle verstehen, welche Vorteile sich daraus ergeben. Digitalisierung führt häufig zur Entstehung von Ängsten, beispielsweise die Angst vor Verlust des eigenen Jobs aufgrund von Automatisierung. Als digitales MV sollten wir da nicht nur sagen, es werden neue Bereiche geschaffen, sondern wir holen die alten Bereiche auch ab. Es muss deutlich werden, dass wir als ein Bundesland agieren. Die soziale Komponente ist unglaublich wichtig, um Akzeptanz zu schaffen. Wir haben nichts damit geschafft, wenn wir eine digitale Szene aufgebaut haben, aber gleichzeitig eine Spaltung zwischen alten und neuen Bereichen hervorrufen. Wenn es um Digitalisierung geht, spielt Landwirtschaft für mich eine sehr wichtige Rolle. Ich selbst habe viele Freunde aus diesem Bereich, die sich bisher noch nicht wirklich abgeholt fühlen. Jeder wünscht sich den autonomen Mähdrescher, es wird viel darüber gesprochen. In der Landwirtschaft kann noch so viel umgesetzt werden. Der Bereich ist für die gesamte deutsche Wirtschaft unglaublich wichtig, denn am Ende des Tages benötigen wir Lebensmittel. Innerhalb der Branche kann noch so viel digitalisiert werden. An dieser Stelle müssen wir ansetzen und noch viel mehr an der Umsetzung arbeiten. Auch die Schaffung neuer Arbeitsplätze gehört dazu. Wir sind ein Flächenland, das für Landwirtschaft sowie Tourismus steht und das sollten wir nicht aufgeben. Das wäre mein Wunsch für die Zukunft. Soziale Gerechtigkeit, die dadurch erzeugt wird, ist mir sehr wichtig. In Mecklenburg-Vorpommern passiert vieles an der Küste. Hier ist es wichtig, auch Bereiche und Regionen abseits der Küste zu unterstützen. Dort kann Digitalisierung helfen, mehr Arbeitsplätze und Zufriedenheit zu schaffen. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass wir behaupten können, ein ausgeglichenes Bundesland zu sein mit Jobs, die Spaß machen.
Mareike: Herr Trettin Sie sprechen mir aus dem Herzen. Ich finde es sehr spannend, die Themen soziale Gerechtigkeit und Digitalisierung miteinander zu verknüpfen. Haben Sie Ideen, was es vielleicht geben könnte, um dort ein stück weit mehr Gerechtigkeit zu schaffen?
Hannes: Wir selbst arbeiten an einem Konzept, dabei geht es um eine Programmierschule. Diese hat keine akademischen Voraussetzungen, es geht also nicht darum, welchen Abschluss man hat, sondern wir prüfen anhand verschiedener Tests die eigenen Fähigkeiten. Danach schauen wir dann, wo man am besten eingesetzt werden kann. Das ist ein sehr spannender Bereich. Es gibt beispielsweise sehr viele Leute, die im sozialen Umfeld abrutschen, weil sie während der Schulzeit als schlecht abgestempelt wurden. Sie passen sozusagen nicht ins System. Schlechte Noten, Hauptschulabschluss und schon ist man für die Gesellschaft nicht mehr brauchbar. Mittlerweile habe ich viele Gründer kennengelernt, die genau das nicht sind! Sie hatten nur kein Spaß in der Schule, haben dann aber Menschen getroffen, die ihre Fähigkeiten analysiert und Stärken gefördert haben. Diese Situation kann man mit der Digitalisierung ebenfalls schaffen, da es viele Leute gibt, die in dem Bereich ihre Fähigkeiten ausnutzen können. Digitale Welt heißt nicht nur programmieren, es gibt noch unendlich viel drumherum. Da kann man glaube ich sehr viel machen. Wir unterstützen das erst einmal mit einer Programmierschule, in der wir die Türen für alle öffnen. Zunächst werden wir sehen, welche Zielgruppen damit erreicht werden können. In dem Zusammenhang gibt es viele Programme, die man umsetzen kann, um die Stärken der Menschen zu fördern. Auch das schafft die Digitalisierung, in dem viele Sachen automatisiert werden und wir uns so wieder mehr auf die Menschen konzentrieren können.
Mareike: Ich persönlich wünsche mir eine Art Befähigungsoffensive bei uns im Land. Nicht nur von Mitarbeitern in Unternehmen, sondern auch von jenen, die weniger Kompetenzen oder Kapazitäten haben, sich damit auseinanderzusetzen. Egal ob Schulabbrecher oder Rentner, die zu Hause sitzen aber noch ganz viel Kraft haben und sich mit einbringen möchten. Sie haben bereit die Programmierschule angesprochen. Als Project Bay kann ich mir gut vorstellen, dass man auch hier auf Rügen ein wichtiger Hotspot sein kann, um das Thema Befähigung hier in der Region mit zu befördern. Wenn Sie sich dieser Frage annehmen, was bräuchten Sie dazu, um dort das Ganze mit zu unterstützen?
Hannes: Das ist ein sehr guter Punkt. Wir leisten beispielsweise Aufklärarbeit oder veranstalten Events, bei denen “Open Door” Politik im Fokus steht. Wir haben hier die Gemeinderatssitzung, die in unseren Räumen stattfindet. Dabei sind auch ältere Menschen, die sich sehr darauf freuen, einen Einblick in die digitale Welt zu erhalten. Smartphones sind für viele etwas neues, aber sie sind bereit, sich darauf einzulassen. Die Menschen verstehen auch, aus welchem Grund wir hier sind und das schafft eine große Akzeptanz. In dem Bereich wollen wir noch viel mehr machen, beispielsweise in Zusammenarbeit mit Hochschulen. Ziel ist es, Absolventen nach Mecklenburg-Vorpommern zu holen und somit überall die Möglichkeit schaffen, die Community für Leute zu öffnen, die vielleicht bisher nichts mit dem Bereich zu tun haben. Mit gezielt veranstalteten Events soll den Menschen gezeigt werden, dass Digitalisierung nicht super komplex ist. Viele stumpfen bei dem Thema direkt ab, weil sie es nicht verstehen. Wir müssen ihnen die Vorteile und neuen Möglichkeiten aufzeigen und dafür sind die Hotspots enorm wichtig. Unser E-Auto ist ein super Beispiel. Ganz viele haben gesagt, so etwas funktioniert im ländlichen Raum nicht, das Auto schafft gar nicht so viele Kilometer. Jetzt öffnen wir das System, lassen die Menschen hier fahren und auf einmal sind sie alle begeistert. Viele beschäftigen sich von allein aus Bequemlichkeit wenig mit Themen rund um Digitalisierung. Aber sobald man ihnen die Möglichkeit gibt, Dinge einmal unverbindlich auszuprobieren, werden viele Menschen offener gegenüber digitalen Veränderungen. Wir müssen ein Spot der Aufklärung werden - nicht nur wirtschaftlich, auch für den sozialen Bereich. Social Entrepreneurs gibt es einige. Sie sind dabei nicht nur auf Kommerz aus, sondern gehen verstärkt in den Bereich Nachhaltigkeit und sind bestrebt, Projekte in der Region umzusetzen. Solche Leute möchten wir auf jeden Fall fördern, natürlich auch in Vorpommern-Rügen.
Mareike: Sozusagen Digitalisierung zum Anfassen, Sie möchten Schaufenster für Digitalisierung sein. Wie funktioniert Smart Home? Durch die Breitbandausstattung im ländlichen Raum werden viele Haushalte erreicht, die sie möglicherweise zum ersten Mal einen Computer oder Laptop kaufen. Da werden ganz viele Fragen kommen. Können Sie sich auch da vorstellen, mit zu beraten, aufzuklären und mit dem Hotspot als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen?
Hannes: Auf jeden Fall. Wir haben ein Format, welches genau in diese Richtung gehen soll. “Auf ein Bier mit” wird mit Gästen durchgeführt, beispielsweise mit Vertretern von Microsoft oder Apple, die einen Abend lang für Fragen zur Verfügung stehen. Es ist in unserer Region nicht die Regel, dass die Chance besteht, einen Vertreter von Google kennenzulernen. Das hat super gewirkt. So konnten Fragen zum Datenschutz beantwortet werden und das hat bei den Menschen für Vertrauen gesorgt. Genau so etwas wollen wir schaffen, im gleichen Atemzug raubt es viel Kraft und Energie, da wir sehr viel Zeit investieren müssen. Es sind zwar keine Einnahmequellen, irgendwo müssen wir uns auch finanzieren, aber wir sehen uns da als Wegbegleiter. Wir müssen da viel selbst umsetzen, können nicht alles auf die Politik abwälzen. Aber es wird sich auszahlen, da bin ich mir sicher.
Mareike: Herr Trettin es ist unglaublich viel, was Sie sich mit Project Bay vornehmen, wie viele Zielgruppen Sie ins Auge fassen. Was haben Sie zukünftig vor, um sich vielleicht auf Gründungen zu fokussieren?
Hannes: Derzeit läuft ein Programm namens Accelerator, eine Herzensangelegenheit für uns, bei dem junge Gründer*innen ihre Ideen vorstellen und mithilfe eines Teams innerhalb von sechs Monaten von der Idee, über das Produkt zu einer Firma kommen. Ganz viele Menschen haben tolle Ideen, scheitern aber an der Bürokratie oder lassen sich davon abschrecken. Es ist ein gezieltes Programm, dass für Unternehmen aufgestellt wird. Dabei gibt es jemanden, der in z.B. Sachen Rechtsform berät. Ein Ansprechpartner ist über die gesamte Zeit an der Seite der Gründer*innen. In dem Accelerator-Programm wird man aufgefangen, es gibt Schulungen, Seminare und diverse Beratungsleistungen. Das ist genau das, was wir anbieten wollen. Mein Mitgründer und ich hatten das Glück, solch ein Programm bei der Gründung unserer ersten Firma nutzen zu können. Es hat uns extrem weitergebracht, da wir besonders in der Anfangsphase viele Fragen hatten. Die Ansprechpartner müssen dabei nicht alles wissen, aber haben oftmals ein Netzwerk, das dann Antworten liefern kann. Unser Ziel ist es, ein solches Accelerator-Programm im Rahmen der Project Bay auf Rügen zu gründen, am liebsten gemeinsam mit dem Landkreis oder anderen regionalen Akteuren. Dabei gibt es eine Ausschreibung für das Bundesland, bei der wir zweimal pro Jahr Teams auswählen. Dabei sollen 2-3 Teams pro Halbjahr die Chance bekommen, hier vor Ort arbeiten zu können. Ein Start-Up Betreuer unterstützt die jungen Gründer*innen, um alle Unklarheiten aus dem Weg zu schaffen. Entweder kann er selbst helfen oder er nutzt sein Netzwerk dafür. Generell sollten Teams gewisse Anforderungen erfüllen, da es eine Art Geschenk des Bundeslandes ist, welches an die Idee glaubt. Im Lauf des Programms werden die Unternehmen Stück für Stück weiterentwickelt und haben nach sechs Monaten Laufzeit einen Prototypen oder bereits ein fertiges Produkt, das auf den Markt gehen kann. Ziel ist außerdem, dass die geförderten Unternehmen zu diesem Zeitpunkt für Investments bereit sind. Dabei kann es sich um regionale oder überregionale Investoren handeln, die in die Firmen bzw. Produkte investieren. In den ersten sechs Monaten müssen die Gründer*innen lernen, ihre Idee zu pitchen und überhaupt erstmal ein Pitchdeck aufbauen. Es ist sehr viel zum Anfang und das Projekt fungiert als eine Art Auffangbecken für die Start-Ups. Außerdem können sich die Teilnehmer untereinander ebenfalls vernetzen, somit entsteht ein Alumni-Netzwerk. Netzwerk ist eines der wichtigsten Faktoren in der Gründungsphase. Solch ein Projekt kann ein enormer Booster für die Region und das Bundesland sein.
Mareike: Die Partner die Sie aufgezählt haben, das klingt ein bisschen wie ein Gütesiegel. Wer aus MV kommt, wer ein Accelerator-Programm in MV durchlaufen hat und sich ein gutes Netzwerk aufgebaut hat, dann anschließend vor Investoren pitcht, eine gute Grundlage hat.
Hannes: Genau das ist der Punkt. Auch wenn man als Gründer bei dem Programm EXIST angenommen wird, kann das als Gütesiegel verstanden werden. Heutzutage wird alles geprüft. Es handelt sich demnach nicht mehr nur um eine Idee der Gründer, es hat schon einmal jemand drübergeschaut. So etwas sorgt für mehr Glaubwürdigkeit. Besonders in der frühen Phase von Ideen müssen Leute daran glauben, damit es auch wirklich Ausstrahlung hat. Eine Teilnahme an einem Accelerator ist immer eine gute Chance, am Ende auch wirklich Geld damit einzunehmen und ein Investment zu bekommen. In unserem Fall glaubt dann ein ganzes Bundesland mit daran, was eine ganz große Ausstrahlung hat und gleichzeitig Werbung ist.
(Mareike: Mein Wunsch wäre, dass wir mehrere Digi-Talents erzeugen, die dann für unser Bundesland werben.)
Mareike: Zum Abschluss, Herr Trettin, ihre Vision für das digitale MV.
Hannes: Mein Wunsch wäre wirklich, dass wir es in Mecklenburg-Vorpommern schaffen, dass die Menschen aufgrund der guten Möglichkeiten zu uns kommen. In den Köpfen der Menschen soll es noch zwei Spots geben - Berlin für urbane Menschen und Mecklenburg-Vorpommern mit den geschaffenen Grundlagen. Auch hier ist es möglich zu gründen, Netzwerke sind vorhanden, man hat die gleiche Infrastruktur wie in Berlin, kann aber das alles mit einer Work-Life-Balance verbinden. Das ist in vielen Großstädten eben nicht der Fall. Hier können die Leute zwischendurch ans Wasser gehen. Wir sollten dafür stehen, dass man Natur und Digitalisierung miteinander verbinden kann und dahingehend neue Möglichkeiten schaffen. Hier sehe ich unsere Chance als Mecklenburg-Vorpommern, dass wir nicht nur das Land für Natur pur und Wasser sind, sondern auch die digitale Komponente abdecken und da für Entwicklung stehen.
Mareike: Herr Trettin, ich bedanke mich für das Gespräch. Ich habe viele Anregungen bekommen und hoffe auch, dass unsere Hörer*innen viele neue Impulse bekommen haben. Ich kann mir vorstellen, dass Sie für unsere Hörer*innen als Ansprechpartner für Buchungsanfragen oder Fragen zu den Themen Gründung und Digitalisierung fungieren.
Mareike: Wenn ich allein Ihren Worten folge, dann brennen Sie für unser Bundesland. Nicht nur, weil sie von hier kommen, auch weil Sie gemeinsam mit Ihrem Partner die Vorteile aufzeigen, die unser MV zu bieten hat. Wenn wir das nicht nur dem Bund, auch national und international zeigen können, dann haben wir schon ganz viel gewonnen.
Mareike: Mein Wunsch wäre, dass wir mehrere Digi-Talents erzeugen, die dann für unser Bundesland werben.